Die Bittstellerin im Theater: Ein „kreatives Interview“ als kleines Meisterwerk | 07.04.2021

rheinpfalz.de

Die Schauspielerin Monika-Margret Steger ist seit ihrem Engagement im Mannheimer Nationaltheater ein Urgestein der freien Szene im Rhein-Neckar-Raum. Hier eine Szene aus dem Kurzfilm mit ihren Kaninchen Ophelia und Othello. Foto: Limeik Topchi 

Heike Marx

Mittwoch, 07. April 2021 

Erst Kuscheln mit Kaninchen, dann als Bittstellerin ins Theater: In dem Kurzfilm „Mehr Zeit für Ophelia und Othello“ wird die Schauspielerin Monika-Margret Steger durch den Lockdown begleitet. Der Mannheimer Regisseur Limeik Topchi nennt seine halb dokumentarischen, halb inszenierten Filme „kreative Interviews“, und ihm ist zum Auftakt der Reihe ein kleines Meisterwerk gelungen.

Um Shakespeare geht es nicht. Ophelia und Othello heißen die beiden Kaninchen von Monika-Marget Steger, für die sie jetzt mehr Zeit hat. In der Art einer klassischen Dokumentation begleitet der Film die Schauspielerin im ersten Teil vom sommerlichen Garten, als nach der ersten Welle wieder etwas Luft war, über leere Stuhlreihen im Herbst bis in den verschneiten Park. Im Sommer klingt „Mehr Zeit für Ophelia und Othello“ zu haben, noch zuversichtlich, obwohl … wie sie sich an die Tiere klammert … Warum hat Topchi diesen Satz als Titel gewählt? „Weil ich ein optimistischer Mensch bin“, sagt er.

Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“

Denn der zweite kreative Teil des Films ist eine rabenschwarze Inszenierung von Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“. Das Gesetz, in das der arme Mensch nicht hinein darf, ist mit einer roten Tür zugesperrt. Es ist der Eingang zur Bühne im Theater im Pfalzbau. Monika-Margret Steger ist im Wechsel der Türhüter und der Bittsteller. Im Film ist das überzeugender zu inszenieren als live auf der Bühne. Der Türhüter ist distanziert und herablassend: Vielleicht darf der Bittsteller ja irgendwann hinein, aber jetzt nicht. Als die Tür einmal einen Spalt aufgeht, sieht man die vertikalen schwarzen Strukturen der Seitenbühne. Der Türhüter versperrt den Eingang und droht dämonisch mit immer mächtigeren und brutaleren Wächtern im Inneren, die der Bittsteller niemals überwinden könnte. Der wartet und wartet, geduldig und so klein, dass man ihn fast gar nicht sieht und nur seine Stimme hört, die schwächer und schwächer wird. Bis er sein einziges und individuelles Leben aushaucht, das hinter dieser Tür gelegen hätte, wo nun der Dämon mit satanischem Gelächter auf einem Stuhl mit Rollen durch den leeren Bühnenraum kurvt.

Dem Filmemacher und der Schauspielerin ist mit der Szene ein kleines Meisterwerk gelungen, das mit gespenstischer Eindringlichkeit die kafkaeske Situation ausleuchtet, die wir derzeit durchleben. „Es ist ein gemeinsames Projekt. In wunderbaren Gesprächen fliegen die Ideen hin und her wie der Ball in einem Tennisspiel“, kommentiert Limeik Topchi den Entstehungsprozess.

Eine im „Krisenmodus“ entstandene Idee

Monika-Margret Steger, gebürtige Österreicherin, wurde nach ihrem ersten Engagement am Mannheimer Nationaltheater zu einem Urgestein der freien Szene in der Rhein-Neckar-Region. Der Bulgare Limeik Topchi kam vor zehn Jahren mit einer abgeschlossenen Theaterausbildung nach Mannheim. Zwei Jahre später gründete er hier die internationale Gruppe „Unser Theater“. Künstlerisch Fuß fassen konnte er dank Hansgünther Heyme, dem vormaligen Intendanten des Theaters im Pfalzbau. An dessen Inszenierung des Gilgamesch-Epos 2014 wirkte er als Regie-Assistent und Darsteller mit. 2015 folgte „Der Sturm“ von Shakespeare als deutsch-bulgarisches Projekt (In Mannheim leben um die 10.000 Zuwanderer aus Bulgarien), in dem er neben Regie-Assistenz und Darsteller-Training auch die Hauprolle des Prospero spielte.

Zur Untätigkeit verdammt wie alle in der freien Szene, geriet Limeik Topchi in den „Krisenmodus. Mein Kopf arbeitete ständig, was können wir machen. Da kam mir die Idee, die Kamera zur Bühne zu machen.“

Das nächste „kreative Interview“ ist in Arbeit

Dass er mit der Kamera umgehen kann, kam so: Die Kinder in dem Kurs des Theaterpädagogen wollten ihr Stück möglichst oft spielen, aber das war schwer zu organisieren. Sie kamen mit dem Vorschlag, einen Film zu machen. Auf Youtube könnte ihn dann jeder anschauen. „Ich wollte die Kinder nicht enttäuschen“, erzählt Topchi. „Ich habe eine Fortbildung gemacht und mir eine professionelle Kamera gekauft.“ Das war 2018. Seitdem hat er noch ein paar Filme gedreht. Wie gut, dass er schon konnte, was man als Theaterschaffender derzeit so nötig braucht.

Seine kreativen Interviews haben als festen Rahmen die Zweiteilung in inszenierte Statements und „aktuelle Werkstatt“. Als nächste Folge schon in Arbeit ist ein Film mit Lisa Massetti. Das Projekt wird vom Mannheimer Kulturamt kofinanziert. Die Hälfte muss Topchi durch Spenden aufbringen. „Das ist äußerst schwierig“, sagt er. „Für „Mehr Zeit für Ophelia und Othello“ habe ich drei private Sponsorinnen gefunden. Für die Fortsetzung des Projekts suche ich noch.“

Im Netz

Mehr Zeit für Ophelia und Othello“ auf Youtube und über die Plattform mannheim-zusammen.de