Mannheimer Morgen. Das Hohe Lied der Toleranz | 26.04.2017

Das Hohe Lied der Toleranz

26. April 2017 Autor: Sylvia Osthues

Nathan der Weise in der Kulturkirche Epiphanias, gespielt von der Internationale Freien Theatergruppe. Annette Hammerstein im Dialog mit Leo Kawe (Tempelherr, l.), rechts: Der Klosterbruder (Klaus Becker) bekommt den Kopf gewaschen.
© Prosswitz

Können verschiedene Religionen und Kulturen sich im gemeinsamen Menschlichen versöhnen? In Zeiten, da mit Waffengewalt Demokratie erkämpft wird, Extremisten jedweder Glaubensrichtung und politischen Gesinnung Terror verbreiten und Menschen auf der Flucht auf Grenzen stoßen? Mehr als 200 Jahre nach Lessing sind seine Fragen aktueller denn je. Limeik Topchi geht in seiner Inszenierung von “Nathan der Weise” dem Potential von Lessings Parabel nach und fragt bei der Aufführung in der Kulturkirche Epiphanias nach dem Nathan von heute.

Von Lessings Sprache gefesselt


Gibt es ihn oder muss seine Vision für ein friedliches Zusammenleben der Religionen immer wieder neu behauptet werden? Ein Stück, das nicht besser in die Kulturkirche Feudenheim passen könnte. “Die Kulturreihe im zweiten Jahr ist ein Erfolgsprojekt”, freute sich Organisator Werner Besier. Das bewiesen auch die 152 Besucher, die nicht nur aus Feudenheim kamen. Auf der Bühne stießen verschiedene Religionen und Kulturen aufeinander – im Spiel und in der Realität.
“Unser Theater” ist eine Internationale Freie Theatergruppe. Sie hat aus Bulgarien stammende Schauspieler und Regisseur Limek Topchi, der schon in Hansgünther Heymes “Gilgamesch” in Ludwigshafen auf der Bühne stand und auch in Heymes “Sturm” in der Neckarstadt-West mitwirkte, aus diesen Aufführungen und dem freien Theaterspiel an der Abendakademie Mannheim requirierte. Die Sprache von Lessing habe ihn schon immer gefesselt, erzählte Topchi.

Seine Inszenierung ist eine neue Interpretation der Ringparabel, die den Kern des Stückes bildet und als Schlüsseltext der Aufklärung gilt. Nathan ruft Vertreter aller Religionen zusammen und reicht ihnen mittels der Parabel die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben, religiöse Toleranz und vorurteilslose Liebe – auf dass der Mensch in Würde frei sein kann.
Zwar ist die 200 Jahre alte Sprache noch immer das tragende Fundament in Tocchis Inszenierung. Doch sie wird bereichert durch moderne Videosequenzen, die in der Neckarstadt-West spielen. Der Besetzung der Rollen ging eine intensive Charakterstudie voraus. Das führte dazu, dass Tocchi Nathan und den Sultan am Ende mit zwei Frauen besetzte, die ihre Rollen überzeugend verkörperten. Monika Loser strömt als Nathan eine beeindruckende Ruhe aus. Auch wenn die hohe Stimme beim Sultan ein wenig irritierte, so brachte Brigitta Martin seinen Charakter dennoch glaubhaft rüber. Den Tempelherren (Leo Kawe) hat Tocchi im Cohrs in der Neckarstadt-Ost entdeckt. Der Medizinstudent, der auf einem Skateboard auf die Bühne rollt, bewies schauspielerisches Talent.
Großartig auch Betül-Bengü Soyupak als Recha und Larissa Fritsch als Schwester des Sultans. Doch zwei spielten alle anderen an die Wand: Annette Hammerstein, die ebenso gut singt und tanzt, überzeugte vor allem durch ihr Spiel zwischen liebedienerisch und intrigant. Großartig auch Klaus Becker als Klosterbruder, ausdrucksstark in Mimik und Gestik. Die Botschaft Lessings vor künstlerisch gestalteten Kulissen (Spartak Paskalevski) kam bei den Zuschauern an, die mit begeistertem Applaus die schauspielerische Leistung belohnten.

© Mannheimer Morgen, Mittwoch, 26.04.2017